TV-Planung wird digital

Unsere Expertin Clara Diehl erklärt, wie sich mit Daten neue Potenziale für den Big Screen heben lassen

Medienkonsum nimmt zu – Nutzung von linearem TV ab

Dass der TV-Konsum in den vergangenen Jahren abgenommen hat, ist für uns alle nichts Neues. Aber dass wir bei den 14- bis 29-Jährigen mittlerweile von 25 Prozent und bei den 30-49-jährigen immerhin von 20 Prozent sprechen, die überhaupt kein lineares TV mehr nutzen, sollte uns doch alle aufhören lassen. Denn gleichzeitig nimmt der Medienkonsum über alle Plattformen hinweg nach wie vor zu. Wie die signifikanten Wachstumszahlen der Streaming Plattformen erahnen lassen, sind diese Nutzer nicht weg, nur woanders. Wir reden schon lange darüber, dass sich eine grundlegende Veränderung des Nutzungsverhaltens vollzogen hat – insbesondere auch, was die Rolle und Funktion des TV-Geräts betrifft. Der Big Screen steht nicht mehr nur für die proprietären Inhalte der großen TV-Vermarkter, sondern wird ebenso für den Konsum von YouTube oder anderen SmartTV-Apps eingesetzt. Die gleichen Inhalte werden aber auch auf anderen Endgeräten abgespielt, nämlich auf dem Smartphone, Tablet oder Laptop. Und diese Selbstverständlichkeit der Nutzung muss auch dringend in der Gestaltung der Medialandschaft ankommen.

Denn genau diese variable Nutzung und neue Plattformen machen den Big Screen immer attraktiver. Es gibt hier also ein beträchtliches Potenzial zu heben, was aber erfordert, zu dem ehemals massenkommunikationstauglichen TV ein adäquates Gegenstück aus der Fragmentierung des New-TV-Universums zu bauen. Und dies gilt nicht nur für Werbetreibende, die aus Budgetgründen bisher nicht im klassischen TV präsent waren – und damit letztendlich auf eine einzigartige Form der Markeninszenierung verzichten mussten. Wenn wir davon ausgehen, dass gerade die Zielgruppenanteile über Streamingplattformen angesprochen werden können, die über lineares TV nicht mehr regelmäßig erreichbar sind, eröffnen integrierte Kampagnen zwischen linearem TV, Addressable TV und den Streamingplattformen interessante Optionen für inkrementelle Reichweitenzuwächse. Die aktuell vorhandenen Cross-Device-Graphen – als technische Verknüpfung der im Haushalt verfügbaren Endgeräte wie TV, Mobile oder Laptop – sind hier ein guter Anfang. Sie machen eine aufeinander abgestimmte Aussteuerung zwischen TV und Digital möglich. Sie bieten somit Optionen wie beispielsweise Storytelling zwischen dem Big Screen als Haushaltsgerät und anderen persönlichen Endgeräten – bis hin zu Verknüpfungen zwischen TV und den digitalen Social-Plattformen.

Aktuell können solche Nutzerkontakte aber nur gezielt innerhalb der jeweiligen Plattform-Silos gesteuert und optimiert werden. Eine plattformübergreifende Ausspielung ist derzeit nicht möglich. So ist es (noch) nicht nachvollziehbar, ob wir mit einer Kampagne, die TV, Addressable TV, Digital und Connected TV umfasst, jeweils gleiche Nutzer erreichen oder unterschiedliche. Eine Kontaktklassenaussteuerung ist so weder plattform- noch vermarkterübergreifend möglich.

Ein erster Lösungsansatz für dieses Problem ist die Neudefinition von Addressable TV. Haben wir darunter bisher nur die Einspielung im linearen Fernsehumfeld des Smart-TV-Universums verstanden, so werden künftig auch die Langform-TV-Formate auf dem Connected TV-Device für eine Ausspielung von Addressable TV-Kampagnen genutzt werden können. Voraussetzung dafür ist allerdings ein technisches Aufholen auf Vermarkter- und auch DSP-Seite, um Kampagnen tatsächlich crossmedial ausliefern zu können.

Worauf wir mit diesen Entwicklungen zusteuern, ist eine Neusortierung der Medialandschaft. Wenn wir in der Vergangenheit auf eine vermarkterübergreifende Aussteuerung innerhalb einzelner Kanäle hingearbeitet haben, so geht der Trend nun zu einer kanalübergreifenden Aussteuerung innerhalb einzelner Vermarkter-Universen. Dass dies sicherlich noch nicht die Lösung darstellt, die wir uns für eine optimale TV-Planung der Zukunft wünschen, ist klar. Aber genau deshalb sollte es unser aller Ziel sein, so viel Transparenz zu ermöglichen, dass einzelne „Universen“ nebeneinander sinnvoll geplant und ausgesteuert werden können.

Die Diskussion, ob man Konsequenzen aus dem veränderten Nutzerverhalten ziehen muss, ist also längst obsolet – es geht um die Frage, wie wir das machen (wollen). In diesem Kontext wird es auch absolut notwendig sein, dass wir uns mit neuen Datensätzen beschäftigen, die uns sowohl breiteren als auch tieferen Aufschluss über das Nutzerverhalten geben. Generiert werden solche Daten schon jetzt an verschiedenen Stellen – auf Seiten der Gerätehersteller, auf Seiten von Smart TV-App-Anbietern, über die HbbTV-Daten der TV-Sender oder auch von Telekommunikationsdienstleistern. Jeder dieser Datensätze liefert aber einen etwas anderen Ausschnitt des NewTV-Nutzungsverhaltens. Das heißt, es ist immer nur möglich, einen kleinen, separierten Teil zu messen, aber niemals das große Ganze zu überblicken bzw. alle Daten aus einer Quelle zu beziehen. Dementsprechend liegt die Herausforderung darin, einen intelligenten Ansatz zu finden, wie man die verschiedenen Quellen sinnvoll miteinander vernetzt, um zu einem aufschlussreicheren Gesamtbild zu kommen. Spätestens daran wird deutlich, dass das keine Einzelaufgabe ist, sondern nur gemeinschaftlich gelöst werden kann.

Das Problem: Dem Markt stehen bisher faktisch kaum neue Daten zur Verfügung. Die meisten Daten, die es gibt, sind aktuell nicht wirklich Herstellerunabhängig einsetzbar – und offen für die Verknüpfung mit weiteren Datensätzen sind ebenfalls wenige. Eines der vielversprechendsten Angebote kommt aktuell vom Unternehmen AdScanner, das auf Basis der Vodafone TV-Boxen Nutzungsdaten von ca. 1 Mio. Haushalten generieren kann. Ein Panel, um diese Daten auf Personenebene zu analysieren, ist in Planung und wird den Datensatz um einen zusätzlichen Qualitätsfaktor erweitern. Mit dem Ansatz von AdScanner, die Verknüpfung mit anderen Daten anzustreben, kommt neues Potenzial in den Markt.

Neue Potenziale heben mit der richtigen Infrastruktur und Datenlage

Nur wenn es uns gelingt, die Fragmentierung von NewTV gemeinsam darzustellen und gleichzeitig auch plan- und einkaufbar zu machen, werden wir in der Lage sein, das Momentum zu nutzen und die neu entstehenden Potenziale aktiv mitzugestalten. Dazu müssen wir uns von den bisherigen TV-Planungsprozessen lösen und Automatisierungen, die durch neue Ausspiellogiken wie etwa Dynamic Ad Insertion entstehen, in die Prozesse integrieren. Dazu müssen auch wir als Agenturen unsere Hausaufgaben machen, um sowohl effiziente als auch transparente Bewegtbildplanungsprozesse zu etablieren. Denn bei NewTV sprechen wir nicht mehr über ein analoges, sondern ein hochgradig digitalisiertes Medium. Das bedeutet auch, dass in der Planung künftig weniger der Detailgrad eine Rolle spielt. Vielmehr geht es um Taktiken – und das eigentliche Gewicht für den Kampagnenerfolg wird in der programmatischen oder zumindest automatisierten Ausspielungslogik liegen, so wie wir es von anderen digitalen Kanälen schon kennen. Wenn wir also NewTV – und somit den Big Screen – relevant halten wollen, dann müssen wir gemeinschaftlich die richtige Infrastruktur und Datenlage zur Verfügung stellen, die diese Potenziale operationalisierbar machen und den Mut haben, mal kleine, mal große und auch mal unbequeme Schritte auf diesem Weg zu gehen.

Kontakt

Haben Sie Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Portrait von Deniz Mathieu
Deniz Mathieu

Geschäftsführerin